Nachteilsausgleich
Was ist ein Nachteilsausgleich? Allen Kindern mit besonderen Schwierigkeiten im Erlernen des Lesens und Rechtschreibens soll eine chancengleiche Bildung und Leistungserbringung ermöglicht werden.
Mit dem Nachteilsausgleich wird diese Chancengleichheit im Prüfungsverfahren erst hergestellt. Behinderte Prüflinge werden benachteiligt, wenn sie ihre Prüfung unter den gleichen Bedingungen ablegen müssen wie die nicht-betroffenen Prüflinge, denn sie verbrauchen einen erheblichen Teil der Prüfungszeit mit den notwendigen Vorbereitungen (z. B. Lesen) oder technischen Aufgaben (z. B. Schreiben), statt mit der inhaltlichen Bearbeitung der Aufgabe. Sie werden daher unterstützt, um in eine dem Normalkandidat entsprechende Prüfungssituation versetzt zu werden. Es besteht für jedes Bundesland ein Erlass, der bei diagnostizierter Legasthenie oder LRS die Gewährung eines Nachteilsausgleichs regelt wie z.B.
- Vorlesen der Aufgaben durch eine Person oder z.B. Nutzung eines Vorlesestifts
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Veränderung des Aufgabentextes, z.B. durch eine vergrößerte Kopie
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Schreibzeitverlängerung, um die mehr benötigte Zeit zum Lesen der Aufgaben wieder auszugleichen (es gibt keine gesetzlichen Vorgaben, es liegt im Ermessen der Pädagogen, angepasst an die individuelle Legasthenie)
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technische Hilfsmittel, z.B. Laptop (ohne Rechtschreibkorrektur)
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Diktiergerät für Aufsätze
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stärkere Gewichtung der mündlichen Leistungen
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Nichtbewertung von Rechtschreibung
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Die Leistungen im Lesen oder Rechtschreiben werden - auch für Berechnungen der Zeugnisnote - zurückhaltend gewichtet. Nicht nur in Deutsch, auch entsprechend in den Fremdsprachen möglich.
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Bei einer schriftlichen Arbeit oder Übung zur Bewertung der Rechtschreibleistung kann der Lehrer eine Aufgabe verkürzen oder andere Aufgabe stellen, die eher geeignet ist, einen individuellen Lernfortschritt zu dokumentieren; auch kann der Umfang der Arbeit begrenzt werden.
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keine Teilnahme an Diktaten
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Zur Dokumentation des Lernfortschritts werden nach pädagogischem Ermessen die Leistungen im Rechtschreiben als Ersatz der Note oder ergänzend zur Note schriftlich erläutert.
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Nicht-Anwendung der Klausel, dass bei vielen Rechtschreibfehlern die fachliche Note herabgesetzt wird
Es gelten für die einzelnen Bundesländer die jeweiligen Erlasse, bei denen es sich oft um Kann-Bestimmungen handelt. Hinweis! In manchen schulischen Erlassen ist es entscheidend für den Umfang des Nachteilsausgleichs, ob eine Lese-Rechtschreib-Störung (Legasthenie) oder nur eine Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) vorliegt. Bitte informieren Sie sich über die für Ihr Land geltenden Vorschriften, Erlasse bzw. schulgesetzlichen Regelungen z.B. auf den Webseiten der Landesverbände des Bundesverband für Legasthenie und Dyskalkulie e.V. (BVL). Bei Fragen wenden Sie sich an die Ansprechpartner der Landesverbände des BVL.
Aufgrund meiner räumlichen Lage beschränke ich mich auf die gesetzlichen Regelungen in Schleswig-Holstein. Lesen Sie hierzu bitte die NuNVO Landesverordnung über die Gewährung von Nachteilsausgleich und Notenschutz sowie die Änderung zur NuNVO.
Leider werden nicht immer die Möglichkeiten und Freiheiten, die die Schulen den Betroffenen gewähren sollten, angewandt. Dabei sollte man fairerweise bedenken, dass es nicht immer am Unwillen oder Unkenntnis der Pädagogen bzw. der Schule liegt. Den Schulen sind in der Umsetzung all der gesetzlich gutgemeinten Möglichkeiten, durch die Strukturen unserer Schulen und begrenzten Stundenzahlen, auch manchmal Grenzen gesetzt. Ich empfehle Ihnen, gemeinsam mit den Lehrern in einem persönlichen Gespräch individuell positive Hilfen für Ihr Kind zu vereinbaren.
Wichtiger Hinweis zu den Erlassen!
Durch moderne Untersuchungsverfahren ist es wissenschaftlich bewiesen, dass biogenetische Ursachen zu einem signifikant anderen Gehirnmuster gegenüber nicht-legasthenen Menschen führen. Legasthenie stellt daher im Gegensatz zur Lese-Rechtschreib-Schwäche eine lebenslange Beeinträchtigung dar, die durch schulischen Förderunterricht gut überwunden, manchmal vielleicht gemildert, aber je nach Ausprägung vielfach nicht behoben werden kann. Viele der betroffenen Kinder bleiben regelmäßig auf kompensierende Maßnahmen angewiesen, um sich entsprechend ihren kognitiven Kompetenzen zu entfalten.
Die Ministerien der Länder halten sich bewusst aus dem Begriffsgerangel um Legasthenie und Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) heraus und geben einen gemeinsamen Nenner vor: "Förderung von Schülern und Schülerinnen, die besondere Schwierigkeiten im Erlernen des Lesens und des Rechtschreibens haben."
Zentral ist das Anrecht jedes Kindes auf eine individuelle schulische Förderung, die es dem Kind ermöglicht Lesen und Schreiben in seinem Tempo und an seinen Begabungsschwerpunkten orientiert zu erlernen. An keiner Stelle der Beschlüsse wird auf die Notwendigkeit einer kinder- und jugendpsychiatrischen Diagnostik für die Zwecke des Nachteilsausgleichs oder besonderer Schutzmaßnahmen im Rahmen der Leistungserhebung und -bewertung abgehoben!
Aber
In der Regel gewähren die Schulen den Nachteilsausgleich nur nach Vorlage eines fachlichen Attests. Außerdem kommt es regelmäßig vor, dass Schulen den gewährten Nachteilsausgleich, auch bei einer bereits offiziell anerkannten (lebenslangen) Legasthenie, von einer jährlich vorzulegenden Testung und/ oder regelmäßigem außerschulischem Training abhängig machen.
Da das Wohl des Kindes immer Vorrang haben sollte, ist gegebenenfalls Widerspruch unter Berufung auf den entsprechenden Erlass zu erheben. Der Nutzen einer neuen Testung ist jeweils gegenüber dem Schaden durch die psychische Belastung einer weiteren Testung abzuwägen. Die Auswertung schriftlicher Unterlagen aus Schule und Training geben in der Regel hinreichende Auskünfte zum aktuellen Entwicklungsstand.
Ein Nachteilsausgleich alleine macht selbstverständlich wenig Sinn, wenn das Kind nicht gleichzeitig eine gute individuelle Förderung erhält, in der es Fortschritte und Erfolgserlebnisse mit der Schriftsprache erleben kann. Der Nachteilsausgleich alleine ändert nichts am Umgang des Kindes und seines Umfelds mit der Schriftsprache und zementiert so u.U. ein negatives Selbstbild und die Schwächen des Kindes. Aber im Falle von hartnäckigen Legasthenien, die sich nicht innerhalb von kurzer Zeit überwinden lassen und jahrelanges Training erwartet wird, ist es oft aber auch sinnvoll und sogar förderlich, dem Schüler zeitlich begrenzt, Auszeiten von der zeitlichen und psychischen Belastung durch zusätzliche außerschulische Trainingsstunden zu geben, ohne dass ihm dafür der Nachteilsausgleich entzogen wird.
Probleme
Die Maßnahmen des Nachteilsausgleichs sind oft nur Kann-Bestimmungen, die zu den höheren Klassen hin immer weiter abgebaut werden. Es wird einfach davon ausgegangen, dass alle in der Lage sind, bis dahin ihre Lernprobleme zu kompensieren. Kinder mit hartnäckigen Legasthenien, die nicht nur während der Schulzeit, sondern noch Jahre danach oder lebenslang mit diesen Problemen zu kämpfen haben, bleiben unberücksichtigt. Kinder, die ihre Legasthenie im Alltag anscheinend gut überwunden haben, bleiben aber dennoch, aufgrund der andersartigen Gehirnstruktur, lebenslang Legastheniker. Es ist typisch für sie, dass die Symptome in Stresssituationen wie Klassenarbeiten, Schulabschlussprüfungen, Abitur, Führerscheinprüfung, Berufsausbildung wieder (massiv) auftreten können. Hier bestehen jedoch keine Schutzbestimmungen mehr (bzw. teilweise nur auf Elternantrag möglich) und es folgen Notenabwertungen, die ihren eigentlichen kognitiven Fähigkeiten und Leistungen widersprechen. Aufgrund aktueller Urteile verschiedener OLG geben Schulen teilweise inzwischen aber auch in Abiturprüfungen Zeitzugaben. Erkundigen Sie sich bitte nach der aktuellen Rechtslage an Ihrer Schule.
Ausbildung und Studium
Für die Zeit nach der Schule erhalten Sie weitere rechtliche Informationen im Handbuch "Nachteilsausgleich für behinderte Auszubildende", W. Bertelsmann Verlag.